Traditionell oder Modern ?

Der Keim der Kampfkünste lässt sich bis in die primitiven Urgesellschaften der Menschheit zurückverfolgen. Um zu überleben mussten Kämpfe mit bloßen Händen und einfachsten Verteidigungswaffen bestritten werden. Eine besondere Form der Kampfkünste hat sich im chinesischen Wu-Shu herauskristallisiert.


Ursprünglich bedeutete Wu-Shu Kriegskunst oder auch militärische Kunst. In China ist Wu-Shu heute ein gebräuchlicher und gültiger Oberbegriff für alle heimischen Kampfkünste.
Deshalb gibt es auch drei Lager die diesen Begriff für sich beanspruchen und verwenden. Auf der einen Seite stehen die Vertreter der traditionellen kampforientierten Künste (der alten Künste), auf der anderen Seite die Vertreter des modernen wettkampf-orientierten Sports, und zwischen beiden die Vertreter deren Stile oder Systeme von beiden Seiten beeinflusst wurden und noch immer werden.

Ein Grund für die Entwicklung innerhalb der Kampfkünste war die chinesische Kulturrevolution (1930-1956), welche das Ziel hatte, alle alten Wertvorstellungen des Kaiserreiches, das traditionelle Kulturgut, die Religion und die Wissenschaft aufzulösen und durch neue, an der kommunistischen Idee, orientierte Vorstellungen, zu ersetzen. Auch die traditionellen Kampfkünste wurden damals verfolgt und verboten. Als 1949 die Volksrepublik China proklamiert wurde erkannte die Regierung bald, dass man mit der Auslöschung des gesamten kulturellen Gedankenguts auch die Identität des Volkes verlieren würde. Deshalb begann man langsam die eigene Geschichte aufzuarbeiten. Die Regierung entschloss sich, nach anfänglichen Unstimmigkeiten auch die Kampfkünste neu zu beleben und als Volkssport zu fördern.

Eine staatliche Sportkommission rief in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts bekannte Quan-fa (alter Begriff für Gong’fu) Experten nach Beijing (Peking). Diese sollten eine Auswahl aus der großen Anzahl der alten Künste treffen und ein neues System schaffen, jedoch ohne den kämpferischen Aspekt zu berücksichtigen. >>Salopp gesagt Wu-Shu sollte eine Sache für jedermann werden<<. Um das neu komprimierte Kampfkunstpaket dennoch interessant zu gestalten, bediente man sich zum Teil Elementen der chinesischen Oper und fügte sie hinzu. Deshalb gleicht das moderne Wu-Shu auch oft einer Performing Art, mit viel Akrobatik und Showelementen. So ist das was dem Publikum präsentiert wird ist oft eine Mischung verschiedener Stile die Unterhaltsam sind und Begeisterung auslösen, jedoch wenig mit dem wahren Kampf zu tun haben.

Gegen Ende der 70er Jahre des 20Jh. erkannte man das mit dieser neuen Form der Kampfkünste, den alten Traditionen keine Gerechtigkeit widerfahren war. Die extrem tänzerischen Elemente wurden wieder abgelöst von einer kampforientierten Form der Ausführung. Trotzdem akzeptieren viele der traditionellen Quan-fa Lehrer diese Entwicklung der modernen Kampfkünste nicht als wirkliche Kampfkünste, da der praktische Nutzen, bzw. die kämpferische Anwendung fehlt. >>Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen: Es geht in den Kampfkünsten nicht primär darum jemanden zusammenschlagen zu können, sondern darum das innere Wesen der Kunst zu beherrschen sowie Geist und Körper zu kontrollieren und in Einklang zu bringen, und das ist wohl auf unzähligen Wegen möglich<<.

Im Ausland konnten die Kampfkünste weitestgehend unbehelllicht ihren Weg nehmen, ohne dabei von einer direkten Revolution betroffen zu sein. So kommt es dann auch das dort manchmal traditioneller gelehrt wird als im Ursprungsland des Wu-Shu’s, dem Reich der Mitte selbst. Durch die Zusatzbezeichnung Gong Fu/Kung’Fu grenzen sich einige Stile seit geraumer Zeit wieder deutlicher von den modernen Stilen ab. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen das hinter dem Begriff Kung’Fu, der im Westen spätestens seit Bruce Lee’s Kassenschlagern und David Carradines gleichnamiger Fernsehserie (Kung’Fu) Bekanntheitsgrad erworben hat, oft ein völlig falsches Bild steckt. Anfang des letzten Jahrhunderts brachten chinesische Immigranten aus Macao und Hongkong diesen Begriff nach Amerika.

Doch hinter Kung’Fu allein verbirgt sich kein System, kein Stil und auch keine Geheime Technik. Mit Kung’Fu beschreiben die Chinesen lediglich einen Zustand, indem jemand einen besonders hohen Grad an bestimmten Fähigkeiten oder Fertigkeiten in einem speziellen Fachgebiet entwickelt hat. Dabei spielt es keine besondere Rolle ob es sich dabei um die Kunst des Kochens, des Zeichnens (Kalligraphie) oder irgendeiner anderen Sache handelt. Im Prinzip kann also jeder durch viel harte Arbeit seine Fähigkeiten bis zur Perfektion ausbauen und Kung’Fu erreichen.

Dieser Text hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, denn gerade über die chinesischen Kampfkünste mit ihren unzähligen Stilen und Systemen, ließen sich Bände füllen.

TEXT Sigung J. Golle



Wushu Shaolin Gongfu